Die Ankündigung der Mannheimer MVV, dem großen Gas- und Energieversorger in der Region Rhein-Neckar, hatte im letzten Spätherbst signifikante Auswirkungen auf das Beschwerdeaufkommen und die Beratungsanfragen bei der Verbraucherzentrale. Was war geschehen? Nicht als erster Gasversorger in Süddeutschland, jedoch erstmals dezidiert und detailliert, hat die MVV klargemacht, dass die Transformation zu einer klimaneutralen Energieversorgung die heutigen Gasverteilnetze überflüssig macht. Schon davor hatten es die Stadtwerke Augsburg und Stimmen aus der Stuttgarter Stadtverwaltung „gewagt“ ähnliches auszusprechen. Der lokale Sturm der Entrüstung hat die grundsätzlich notwendige Debatte sehr schnell erstickt.
Der Hintergrund für das „Vorpreschen“ der MVV ist, dass die seit Jahren gewohnte und vertraute Erdgasversorgung ein Auslaufmodell ist. Nach dem Ausfall der leitungsgebundenen Erdgasversorgung aus Russland, ist die Gasbeschaffung auf den Weltmärkten teuer geworden. Wir werden fossiles Gas nie wieder so günstig bekommen, wie in den vergangenen Jahrzehnten. Nun setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Ausstieg aus der Erdgasnutzung schneller kommt als gedacht. Die bestehende Leitungsstruktur wird nur in begrenztem Umfang für andere Nutzungen umgewidmet werden können.
Genau diese „Wahrheiten“ hat die MVV im Spätherbst 2024 mehr als deutlich kommuniziert. Kurz zusammengefasst, wurden die Verbraucher:innen in der Rhein-Neckar-Region damit konfrontiert, dass der Ausstieg aus den Gasverteilnetzen bis 2035 ein unumkehrbares Ereignis sein wird. Die MVV setzt auf Wärmenetze (Fern- und Nahwärme) und auf die im Gebäudeenergiegesetz (GEG) möglichen Umsetzungsoptionen, was in städtischen Verdichtungsbereichen in der Regel die Wärmepumpe sein wird. Die MVV hat auch klargemacht, dass eine Umnutzung der Gasverteilnetze auf Wasserstoff keine Option für die Wärmeversorgung der Kundinnen und Kunden in ihren Versorgungsgebieten sein wird.
Was bedeutet die sukzessive Stilllegung und der Rückbau für Versorger und Kommunen und vor allem für Verbraucher:innen?
Spätestens mit dem Vorstoß der Mannheimer ist klar geworden: Es werden weitere Versorger bundesweit folgen. Die aus der Transformation resultierenden Probleme müssen zügig, effizient und sozialverträglich für alle Betroffenen gelöst werden. Wir werden die Entwicklung und die möglichen Folgen für Verbraucher:innen im Blick haben. Dabei verkennen wir jedoch nicht, dass die Transformation eine Herkulesaufgabe auch für die Versorger und die Kommunen werden wird.
Welche Probleme und Aufgaben sehen wir?
Bis alle Gasverteilnetze rückgebaut oder umgenutzt sind, werden weiterhin Netzkosten anfallen, die grundsätzlich von der immer kleiner werdenden Gruppe der verbleibenden Gasnetznutzer:innen getragen werden müssen. Die Netzentgelte werden mit dem sukzessiven Nachfragerückgang jedes erträgliche Maß sprengen.
Es ist auch zu vermuten, dass in den „alten“ Gasnetzen vor allem Verbraucher:innen aus prekären Einkommensverhältnissen, aber auch Mieter:innen „gefangen“ bleiben werden. Droht hier eine riesige soziale Lücke? Noch nicht im Blickpunkt sind die Verbraucher: innen, die weder die Möglichkeit haben, sich an ein Wärmenetz anzuschließen noch eine Wärmepumpe installieren zu lassen. Was ist mit Verbraucher:innen, die zum Beispiel ein denkmalgeschütztes Gebäude bewohnen oder Bewohner:innen in eng besiedelten Bereichen, ohne Möglichkeit der Nutzung einer Wärmepumpe?
Die von der Politik beschworene Technologieoffenheit, die das Gebäudeenergiegesetz (GEG) durchaus ermöglicht, greift in diesen Fällen schlichtweg nicht.
Noch fehlt es an einem geordneten Rechtsrahmen. Noch immer haben Verbraucher:innen das Recht an ein Gasverteilnetz angeschlossen zu werden. Besorgte Bürger:innen fragen schon jetzt, ob ihre gerade erworbene neue Gasheizung eine gute Investition gewesen ist.
Was ist zu tun, was fordert die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg?
Zunächst stellen wir fest, dass die Ausgestaltung des notwendigen Transformationspfades weder transparent kommuniziert ist, noch die rechtlichen Gegebenheiten ausreichend formuliert sind.
Es bedarf endlich einer klaren und nachvollziehbaren Ansprache an die Verbraucher:innen. Viele sind immer noch der Ansicht, dass die Versorgung mit Gas für die Beheizung von Wohnungen und Gebäuden ewig gesichert ist. Es ist eine konsequente Offenlegung der Ergebnisse der kommunalen Wärmeplanung notwendig. Städte und Gemeinden müssen die Ergebnisse transparent bekanntmachen und offen diskutieren. Verbraucher:innen müssen wissen, welche Möglichkeiten in ihren Quartieren, in ihren Baugebieten gegeben sind, damit sie zukunftssichere Entscheidungen treffen können.
Die anbieterunabhängige (Energie-)Beratung ist zu stärken. Verbraucher:innen müssen die Möglichkeit haben, die komplexen Fragen vor einer großen Investition für sich zu klären. Nur so ist eine verantwortete Entscheidung zu treffen. Nachdem klar ist, dass neben dem massiven Umbau des Wärmesektors, auch die Nutzung von Strom stark steigen wird (E-Mobilität, Wärmepumpe), ist die Infrastrukturplanung für Strom- und die Rückbauplanung für Gasnetze aufeinander abzustimmen.
Die Umverteilung der Gasnetzentgelte muss neu aufgestellt werden. Alle Maßnahmen zur Dämpfung und Streckung der Netzentgelte müssen ergriffen werden. Es darf keine sprunghaften Anstiege geben.
Die Verknüpfung der kommunalen Wärmeplanung mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) muss sicherstellen, dass Verbraucher:innen die zu ihrem Gebäude passende klimaneutrale und bezahlbare Gebäudetechnik finden.
Der neue Bundesgesetzgeber wird die beschriebenen Maßnahmen schnell gesetzlich flankieren und absichern müssen. Gesetzliche Lücken und unabgestimmte, sich widersprechende Normen müssen beseitigt werden.
Die Aufgaben sind umfassend und komplex, die neue Bundesregierung muss reagieren, der Stillstand ist endlich aufzulösen, die Unklarheiten sind zu beseitigen. Die Fragen der Energiewende müssen für Verbraucher:innen angepackt und gelöst werden. Verbraucher:innen sollten wissen, dass überstürzte Maßnahmen keinen Sinn machen. Panik ist ein schlechter Ratgeber. Der Einbau einer neuen Öl- oder Gasheizung verbietet sich. Aber alle müssen sich jetzt mit den Fragen der Transformation in die nachfossile Ära auseinandersetzen und planen, wie die Umsetzung der Energie- und Klimawende in jedem einzelnen Gebäude erfolgen kann.
Der Text ist auch als Artikel in der Verbraucherzeitung 02/2025 erschienen.