- Microsoft hat Zugang zu Daten und Datenspuren der Nutzer:innen und kann diese für eigene Zwecke auswerten und monetarisieren.
- „Umsonst-Strategie“ zielt darauf, Schüler:innen nach ihrer Schulzeit zu Kund:innen zu machen, die dauerhaft für Lizenzen zahlen.
- Marktdominierende digitale Produkte als digitale Infrastruktur einzusetzen ist weder Verbraucherbildung noch Berufsvorbereitung.
In Baden-Württemberg wird über die Einführung einer digitalen Bildungsplattform zurecht kontrovers diskutiert. Im Fokus steht dabei das Vorhaben der bis Ende April regierenden Landesregierung digitale Produkte von Microsoft in die Bildungsplattform zu integrieren. Warum sich gegen dieses Vorhaben eine breite Allianz verschiedener Akteure von Schüler-, Eltern-, Lehrer:innen- bis Verbraucherverbänden stark macht, zeigen die folgenden Ausführungen.
Microsoft dominiert den Markt für PC und PC-Software („Bürokommunikation“). Das Unternehmen ist führend auf dem Markt des Cloud-Computing und strebt an, den Einsatz seiner Bürosoftware an die Nutzung der unternehmenseigenen Cloud zu binden. Als Cloud-Plattform stellt das Unternehmen die digitale Infrastruktur zur Verfügung, anhand der es Zugang zu den Daten und Datenspuren der Nutzer:innen erlangt. Über alle seine digitalen Produkte und Dienstleitungen hat das Unternehmen aber nicht nur Zugang zu Daten und Datenspuren der Nutzer:innen, sondern kann diese auch für eigene Zwecke auswerten und monetarisieren.
Im Bildungsbereich betreibt Microsoft umfangreiche Marketingmaßnahmen zur Kundenbindung. So stellt das Unternehmen Lehrkräften und Schüler:innen die eigene Software gegen einen geringen Preis oder kostenfrei zur Verfügung. Zudem bildet das Unternehmen Lehrkräfte („Microsoft Certified Educators“) aus, die anderen Lehrkräften zeigen sollen, was mit den jeweiligen digitalen Produkten im Bildungsbereich möglich sein soll. Diese „Umsonst-Strategie“ zielt darauf, Schüler:innen nach ihrer Schulzeit zu Kund:innen zu machen, die dauerhaft für Lizenzen zahlen.
Aus der marktdominierenden Stellung des Unternehmens wird versucht abzuleiten, dass der Umgang mit Microsoft-Produkten für Schüler:innen eine notwendige „Kompetenz“ sei – u.a. zur Berufsvorbereitung. Diese Sichtweise missversteht jedoch (Medien- und) Verbraucherbildung ganz grundsätzlich: Aufgabe der (Medien- und) Verbraucherbildung ist es, Schüler:innen in einer selbstbestimmten, reflektierten und verantwortungsbewussten Nutzung der Medien zu stärken, sowie eine überlegte Auswahl aus der Medienvielfalt in Schule und Alltag zu fördern. Zudem soll Verbraucherbildung Schüler:innen dazu befähigen, als kritische und mündige Verbraucher:innen reflektiert Konsumentscheidungen treffen zu können (vgl. Bildungsplan BW 2016). Für sein Gelingen hat der Erwerb dieser Kompetenzen frei von wirtschaftlichen Interessen und unternehmensunabhängig zu erfolgen. Auch die Berufsvorbereitung muss im Interesse der Schüler:innen und Schüler auf Vielfalt ausgerichtet sein. Eine einseitig auf ein markdominierendes System ausgerichtete Ausbildung wird der in einer digitalisierten Gesellschaft notwendigen kritischen Flexibilität und Souveränität im Umgang mit sich wandelnden Anforderungen und Gegebenheiten nicht gerecht.
Mit dem Einsatz von Microsoft 365 würde also die schulische Verbraucherbildung sowie der gesamte digitale Unterricht von wirtschaftlichen Interessen durchwirkt und unternehmensabhängig erfolgen.
Für Schüler:innen führt dies zu paradoxen Situationen wie ein Blick in den Bildungsplan offenbart: Im Fach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung sollen Schüler:innen lernen, sich autonom im ethisch-politisch-ökonomischen Denken zu orientieren, und zwar ohne Reflexionsabbruch vor ‚gegebenen‘ wirtschaftlichen Bedingungen, Sachzwangargumenten und Gemeinwohlbehauptungen. Darunter fällt nicht zuletzt auch die kritische Auseinandersetzung mit Monopolen, marktdominierenden Unternehmen, deren einschränkende Wirkung auf eine selbstbestimmte Entscheidung und die Bedeutung der eigenen Nachfrage auf die Entstehung von Marktdominanz und Monopolen.
Die Einführung von Microsoft 365 mit dem Argument dessen ubiquitärer Verbreitung würde ausgerechnet in der Schule vermitteln, es gäbe wirtschaftliche Bedingungen, die dem Individuum abverlangen, private Monopole zu akzeptieren und seine Selbstbestimmung auszusetzen. Vermittelt würde zudem, dass staatliche Institutionen marktdominierende Unternehmen nicht nur hinnehmen, sondern deren Marktmacht auch noch durch hohe Nachfrage zementieren.
Marktdominierende digitale Produkte als digitale Infrastruktur einzusetzen ist also weder Verbraucherbildung noch Berufsvorbereitung. Ihr Einsatz konterkariert ganz konkrete Bildungsziele und ist letztlich nichts anderes als ein weiterer Baustein der unternehmerischen Kundenbindung. Aus Sicht einer an Selbstbestimmung und Mündigkeit orientierten Verbraucherbildung ist der Einsatz von Microsoft 365 folglich grundsätzlich abzulehnen.
Die neue Landesregierung sollte daher im Interesse der Schüler:innen unbedingt Abstand von der Einführung von Microsoft 365 nehmen. Alternativen stehen ohnehin zur Verfügung.
Gemeinsame Stellungnahme: https://unsere-digitale.schule/
Der Artikel ist erschienen in der Verbraucherzeitung 02/2021